Im Rückspiegel betrachtet: Das waren die großen Themen 2023
Eines wird beim Blick auf die nachfolgenden Themen deutlich: Die maßgeblichen Gesetzesvorhaben für den Automotive Aftermarket werden formal in Brüssel geschmiedet. Was dabei heraus kommt, hängt jedoch oft von den Vertretern der nationalen Regierungen – so auch der österreichischen – ab. Deren Stimme hat bei allen Gesetzgebungsverfahren großes Gewicht, wo der Europäische Rat eingebunden ist. Denn der Rat ist jene Institution, in der die Mitgliedsstaaten durch ihre themenverantwortlichen Ministerinnen und Minister mitreden und mitbestimmen.
Das sind unsere Top 3, die im Jahr 2023 erfolgreich abgeschlossen wurden:
#1: Verlängerung der Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung
Die Kfz-GVO mit ihren ergänzenden Leitlinien stellt den Wettbewerb im Automotive Aftermarket sicher und bildet damit das existenzielle Rückgrat für die freien Marktteilnehmer. Als VFT haben wir uns in den vergangenen vier Jahren – in Österreich genauso wie auf EU-Ebene – intensiv für den Fortbestand dieses wichtigen Regelwerks, gegen erheblichen Widerstand aus der Automobilindustrie, eingesetzt. Im April 2023 – kurz vor ihrem Auslaufen – wurde die Verlängerung der Kfz-GVO um weitere fünf Jahre beschlossen.
Lesen Sie auf unsere Website ergänzende Informationen rund um die Kfz-GVO:
- Stichwort Fahrzeugdaten
- Stichwort Qualitätsbestätigungen für Ersatzteile
Eines zeigt sich auch nach der Verlängerung der Kfz-GVO: Das Thema Herstellergarantie bleibt ein Dauerbrenner. Da wir von Kfz-Reparaturbetrieben regelmäßig mit Fragen zum Thema Herstellergewährleistung/-garantie kontaktiert werden, werden wir im ersten Quartal 2024 eine europaweit abgestimmte Informationsbroschüre an unsere Mitglieder versenden. Diese soll betroffenen Reparaturbetrieben eine erste, direkte Einschätzung ermöglichen, ob die Garantiebedingungen eines Fahrzeugherstellers mit Regeln der Kfz-GVO übereinstimmen.
#2 Start des schrittweisen SERMI Roll-out in Europa
SERMI ist die Antwort auf die Frage, wie im Zeitalter vernetzter Fahrzeuge und Cybersicherheitsanfoderungen der Reparaturmarkt, wie wir ihn heute kennen - auf dem vom Fahrzeughersteller abhängige Marktteilnehmer mit unabhängigen Anbietern im Wettbewerb stehen - auch in Zukunft noch existieren und funktionieren kann. Bemerkenswert an SERMI ist, dass es sich dabei um eine gemeinsame Entwicklung von Fahrzeugindustrie und dem herstellerunabhängigen Reparatursektor handelt – vertreten durch deren jeweilige Branchenverbände.
Der zukunftsgerichtete Standard für den Zugang zu sicherheitsrelevanten Fahrzeugdaten wurde 2021 von der EU-Kommission durch Änderung der Typgehmigungsverordnung verabschiedet und befindet sich derzeit im europaweiten Roll-out.
Mit Beginn des zweiten Quartals 2024 soll es auch in Österreich soweit sein. Mitte Dezember 2023 hat der VFT darum zahlreiche Mitgliedsbetriebe in Österreich informiert, was mit SERMI auf sie zukommt. Eine kurze Zusammenfassung unserer Informationsveranstaltung finden Sie in Ausgabe 2700 der AUTO-Information unseres Medienpartners A&W Verlag (siehe zugehörige Datei rechts).
Hier finden Sie unsere Infosammlung zu SERMI.
#3: Liberalisierung des Designschutzes durch Einführung einer Reparaturklausel
Freie Kfz-Werkstätten in Österreich fallen typischerweise in die Kategorie KMU, der Geschäftsfokus folgt oft dem Wochenrhythmus. Montag, wenn die Kundenfahrzeuge ankommen, ist Rush-hour am Werkstatthof. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass auch noch in Zukunft jeden Montag Fahrzeugnutzer und -nutzerinnen die Wahl und die Möglichkeit haben, eine unabhängige Kfz-Werkstätte aufzusuchen. Darum umfasst die Arbeit des VFT heute viele Themen von übermorgen. Manche Bretter erweisen sich dabei in Hinblick auf den erforderlichen zeitlichen Einsatz besonders dick. Das beste Beispiel dafür ist die Liberalisierung des Designschutzes und die Einführung einer Reparaturklausel. Dabei geht es um die Harmonisierung des EU-Binnenmarkts für sichtbare Kfz-Ersatzteile und die Verhinderung eines ungerechtfertigten Monopols für OEM-Ersatzteile. Nach gerade einmal 30 Jahren – im Jahr 1993 gab es den ersten Anlauf für diese Harmonisierung – dürfen wir Ende 2023 zuversichtlich sein, dass wir Anfang 2024 tatsächlich den Durchbruch erreichen.
Im Dezember 2023 trafen sich die Verhandlungsführer der drei EU-Institutionen (Kommission, Parlament und Rat) zu ihrem letzten politischen "Trilog". Ein Thema war die Neugestaltung des Designschutzes und die Einführung einer EU-weiten Klausel zur Reparaturfreiheit für sichtbare Must-Match-Fahrzeugteile. Ziel war es, nach drei Jahrzehnten endlich einen für alle tragbaren Kompromiss zu finden. Ausgehend von jenen offiziellen Informationen, die bisher aus Brüssel gekommen sind, scheint das dieses Mal auch gelungen zu sein. Allerdings muss diese politische Einigung noch formal vom EU-Rat genauso wie vom EU-Parlament gebilligt werden. Dieser Schritt wird für Anfang 2024 erwartet.
Ein Kompromiss bedeutet immer ein aufeinander zugehen – und bringt zähes verhandeln mit sich. Dazu brauchen die beteiligten Entscheidungsträger fundierte Informationen und Argumente. Dafür steht der VFT im fachlichen Austausch mit relevanten Stakeholdern aus Verwaltung, Politik und Gesellschaft in Österreich wie auch in Brüssel.
Was bedeutet die Einführung der Reparaturklausel, wie sie nun ausgehandelt wurde, aus österreichischer Sicht?
- Keine Übergangsfrist für „Neufahrzeuge“: Für neue Fahrzeugdesigns, die nach der Umsetzung der erforderlichen EU-Richtlinie registriert werden, gilt die Reparaturklausel sofort. Das bedeutet, das sichtbare Must-Match-Ersatzteile von unabhängige Teileproduzenten hergestellt, von unabhängigen Teilehändlern verkauft und von unabhängigen Werkstätten verwendet werden dürfen; EU-Länder, die bereits eine Reparaturklausel haben (Österreich zählt hier nicht dazu), behalten ihre momentane rechtliche Regelung bei.
- Übergangsfrist bei „Altfahrzeugen“: Als VFT haben wir uns stets für eine möglichst kurze Übergangsfrist eingesetzt. Die EU-Kommission hat hingegen zehn Jahre vorgeschlagen. Nun wurde mit EU-Parlament und -Rat ein Kompromiss bei acht Jahren gefunden. Das ist v.a. auf die Haltung von Mitgliedsstaaten im Europäischen Rat mit starker Autohersteller-Lobby zurückzuführen. Österreich hat in den relevanten Sitzungen der Ratsarbeitsgruppe hingegen immer die Position des VFT unterstützt. Eine offene Frage in diesem Zusammenhang ist nun, wie schnell Österreich eine formal bestätigte EU-Richtlinie in nationales Recht umsetzen wird.
Lesen Sie hier mehr zur Arbeit des VFT:
- Probleme mit dem Designschutz
- Einheitliche Regeln für die gesamte EU notwendig
- Forderung nach rascher Umsetzung
Weitere wichtige Errungenschaften 2023
Der EuGH bestätigte in zwei wichtigen Urteilen im Zusammenhang mit dem Zugang zu Fahrzeugdaten, die Positionen und die Rechtsauslegung sämtlicher Aftermarket Branchenverbände in Europa.
Detailinformationen dazu finden Sie hier:
Das erwarten wir für 2024
Anfang Juni 2024 wird ein neues EU-Parlament gewählt und damit in der Folge auch die Zusammensetzung der künftigen EU-Kommission beeinflusst. Gleichzeitig bedeutet das für die verbleibende Zeit bis dahin aber auch: Es sind noch viele Gesetzgebungsvorhaben für wenig Legislaturperiode übrig. Hier ein Auszug aus den für den Aftermarket wichtigsten Initiativen.
EURO 7
Fahrzeuge, die unter die künftige Euro-7-Norm fallen, müssen diese Norm (auf die Lebensdauer des Fahrzeugs gesehen) länger als bei vorhergehenden Normen einhalten. Das betrifft nicht nur Grenzwerte für Abgasemissionen, sondern auch Partikelemissionen aus Reifen und Bremsen, eine längere Batterielebensdauer und eine bessere Information der Verbraucher. Der Entwurf zur Euro 7 sieht auch eine Übermittlung gültiger Emissionsdaten von Fahrzeugen an Behörden vor. Aus diesem Grund wird in der Euro-7 großer Wert auf die Einführung von Maßnahmen gelegt, die dem Manipulationsschutz dienen.
Als VFT unterstützen und fördern wir den Erhalt der Individualmobilität. Vor dem Hintergrund des europäischen Green Deals verstehen wir die vorgesehenen Maßnahmen daher als Beitrag für die Zukunftssicherung der Individualmobilität. Sobald die Euro-7-Norm in Kraft tritt, ist der gesamte Reparatursektor – also an den Hersteller gebundene Betriebe genauso wie ungebundene – dafür verantwortlich diese Fahrzeuge auch auf dem technischen, normentsprechenden Stand zu halten. Gleichzeitig bergen Anti-Manipulationsmaßnahmen aber ein erhebliches Risiko, wenn deren Planung und Umsetzung ausschließlich den Fahrzeugherstellern selbst überlassen werden. Aus Sicht des freien Reparaturmarkts besteht die Sorge, dass Fahrzeughersteller solche Maßnahmen dazu verwenden, um sich gegenüber dem freien Reparatursektor abzuschotten. Beispielsweise könnten die Entwicklung, Installation und Aktivierung von Fahrzeugteilen und -komponenten verhindert werden, die im Zusammenhang mit der Reduktion oder der Messung von Emissionen stehen. Dass diese Sorge nicht unbegründet ist, zeigen vergleichbare Abschottungsversuche im Bereich der Fahrzeugdaten.
Solche „Kollateralschäden“ können aus unserer Sicht nicht im Interesse einer europäischen Gesetzgebung sein. Der VFT hat sich in den letzten Monaten darum bei den verantwortlichen Stellen in Österreich für eine Anpassung von Euro 7 eingesetzt. Denn in den Trilogverhandlungen der drei EU-Institutionen (Parlament, Rat und Kommission) spielt die Haltung der Mitgliedsstaaten, im EU-Rat vertreten durch die jeweils verantwortlichen Verkehrsministerinnen und -minister, eine gewichtige Rolle.
Wir gehen davon aus, dass die Euro-7-Regelungen in ihrer endgültigen Form in den ersten Wochen des Jahres 2024 verabschiedet werden.
Verpackungsverordnung
Die Europäische Union will die Kreislaufwirtschaft stärken. Die Verpackungsverordnung ist dabei ein regulatorischer Puzzlestein. Deren Neugestaltung befindet sich ebenfalls in Diskussion. Ein Ergebnis wird noch in dieser Legislaturperiode erwartet.
Die Verpackungsverordnung adressiert das generelle Problem mit zu viel Verpackungsabfällen in der EU, wobei gleichzeitig der Binnenmarkt für Verpackungen harmonisiert werden soll; d.h. EU-weit soll in allen Mitgliedsstaaten die gleichen Regeln gelten. Für den Automotive Aftermarket ist dabei in Hinblick auf die Teileproduktion der Bereich Transportverpackung von Interesse. Hier geht es etwa um einen bestimmten Leerraumanteil, der nicht überschritten werden darf. Auch geht es um die möglicherweise verpflichtende Verwendung von Mehrwegverpackungen (z.B. Paletten, Kisten u.ä.) innerhalb desselben Mitgliedsstaats bzw. von bestimmten Quoten von Mehrwegverpackungen beim Transport zwischen Mitgliedsstaaten.
Access-to-Data / sektorspezifische Regelungen zum Data Act
Europas Wirtschaft soll führend im Bereich der Datenökonomie werden – das ist das Ziel der EU-Kommission. Auf dem Weg dorthin spielt der Der Data Act als zentrales Element der europäischen Datenstrategie eine große Rolle. Dieses Datengesetz regelt, wer unter welchen Bedingungen auf Daten zugreifen darf. Dabei geht es um den Zugang der Nutzer zu jenen Daten, die sie durch die Verwendung vernetzter Produkte bzw. damit verbundener Dienste erzeugen. Hier steckt viel Zukunft – und damit viele Chancen, aber auch viele Risiken – für den freien Mobilitäts- und Reparatursektor drin.
Der Data Act wurde als allgemein gültiges Datengesetz am 22. Dezember 2023 veröffentlicht und tritt somit 2025 in Kraft. Dieses allgemeine Regelwerk wird jedoch den Gegebenheiten des Automotive-Sektors nicht gerecht. Z.B. haben derzeit einzig die Fahrzeughersteller einen privilegierten Zugang zu Daten aufgrund des technischen Designs der in den Fahrzeugen verbauten Systeme. Sie entscheiden nach eigenem Ermessen, wer wann welche Daten und in welcher Form bekommt. Das gibt den Herstellern der Fahrzeuge eine beherrschende Stellung und führt zu asymmetrischen Marktverhältnissen. Und darum braucht der Fahrzeugbereich dringend sektorspezifische Regeln.
Und an dieser Stelle ist nun die EU-Kommission am Zug: Sie muss einen Vorschlag vorlegen, ist aber nur noch fünf Monate im Amt. Darum ist Tempo gefragt.
Leider sind die Mitgliedsstaaten beim Thema Datenökonomie politisch und verwaltungstechnisch unterschiedlich gut aufgestellt. Als VFT haben wir momentan nur die Möglichkeit über unseren europäischen Dachverband zu agieren. Gleichzeitig arbeiten wir daran, in Österreich das Bewusstsein für die dringende Notwendigkeit einer Anlaufstelle für Datenökonomie zu schaffen.